Althofdrachen/Bericht fürs Jubiläumsheft / von Uli Blumenthal
Den Rhein bei Linkenheim haben wir in fast 3000 Metern gequert und uns an seinen türkisfarben blinkenden Nebenarmen sowie den akrobatischen Flugvorführungen der dortigen Segelflieger erfreut.
Unsere jetzige Position: BAB Karlsruhe – Landau, 1800 m NN, vor uns dehnt sich der riesige Bienwald, abgeschattet bis fast zum elsäßischen Wissembourg.
Direkt hinter uns die ausgedehnten Anlagen des Daimler-Werks bei Wörth, jenseits des Rheins die Fächerstadt Karlsruhe im Sonnenlicht. Die flache, grau-weiße Wolke über uns hat ihre Anziehungskraft verloren und nur schwer lassen sich vereinzelte schwache Aufwindfetzen zentrieren. Endlich steigen wir mit 1,5m/s der zerfallenden Wolkenbasis entgegen. Weit schweift der Blick ins Elsaß, wo das Ziel unseres heutigen Fluges liegen soll. Der gemeinsame Flug am heutigen ersten August führt Lothar Wüst und mich schließlich von Mosbach am Neckar über 130 Kilometer nach Ingwiller, nordwestlich von
Straßburg. Streckenmäßig war mehr drin, aber der gemeinsame “Luftspaziergang” über den waldarmen, dafür aber feld- und ackerreichen Kraichgau, die breite Rheinebene sowie das geschichtsträchtige Nordelsaß ist einer der Höhepunkte meiner nur 16 Flüge 1999.
Auch weil im Osten heimatliche Fluggefilde aus einer ganz außergewöhn-lichen Perspektive sichtbar wurden:
Deutlich ließen sich der Tannschach, hinter dem Mahlberg als erster höherer Schwarzwaldberg ausmachen, die markant große Wiese beim Althof, umgeben von dunklen Wäldern, war auch aus der Entfernung nicht zu
übersehen.
Schon am 17. Juli hatte die Landewiese der Althofdrachen zum Landen
eingeladen…
Rückblende: Samstag, 17. Juli:
Diesmal befinde ich mich in 1600 Metern und fotografiere schnell den schlanken, hellen Aussichtsturm auf dem Mahlberg, nach Schloß Eberstein mein zweiter Wendepunkt des diesjährigen Teufelspokals. Vor der nächsten Wende, der Startrampe auf dem Tannschach, wird das Sinken beängstigend, sodass die stolzen Höhenmeter dahinschmelzen wie der Schnee in der Frühjahrsonne. Nur kurz ziehe ich die bequeme Landeoption in Erwägung, mache mich nach der Wende aber wieder auf den Rückweg nach Loffenau. Anders als Ralf Trenkle, der mit seinem Topless die Route über dem Bergkamm und eine große Geschwindigkeit bevorzugt, gleite ich mit meinem blau-gelben RCS langsam etwa zwei Kilometer westlich über den Hangausläufern der Hohen Wanne nach Süden. Dort tendiert das Sinken gegen Null, was ich schon auf dem Hinweg herausgefunden hatte. Als Ralf schon über den idyllischen Fachwerkhäusern Loffenaus dem Landeplatz zuschwebt, suche ich in weiten S-Schleifen über den bewaldeten Ausläufern des Heukopfs nach Aufwind. Und tatsächlich: Wie schon eine halbe Stunde zuvor trägt ein unregelmäßiger und turbulenter Aufwind: Mal zentimeterweise, dann wieder mit 2 Sekundenmetern, himmelwärts. Die vorher so markanten Konturen der Schwarzwaldberge zerfließen, der jetzt kühle Fahrtwind trocknet den Schweiß von meiner Stirn und ich atme auf: Aus 1400 Metern ist der Sprung zur sagenumwobenen Teufelsmühle, unserem heutigen Startplatz ein Kinderspiel. Als ich dort ankomme, tummeln sich viele bunte Drachen im Hangaufwind, die meisten Kameraden scheinen bei der heutigen unsicheren Blauthermik das Wegfliegen und somit das Risiko einer Außenlandung zu scheuen.
Vereinzelte Piloten weit unter mir befinden sich auf dem Rückweg von der nächstliegenden Wende, dem reben- und waldumkränzten Schloß Eberstein jenseits der tief eingeschnittenen Murg.
Über den Wäldern der Teufelsmühle stehen die Aufwinde wieder sicherer, reichen aber nicht sehr hoch, und ich versuche deshalb in Richtung Kaltenbronn eine Etage höher zu klettern – der Aussichtsturm auf dem Dobel als nächste Wende ist über sechs weite, waldreiche Kilometer entfernt!
Tatsächlich gelange ich nach zähem Kurbeln bis auf über 1700 Meter und traue meinen Augen nicht: Über der Aschenhütte im Gaistal steht heute zum ersten Mal eine verlockend leuchtende Cumuluswolke mit dunkler, aufwindträchtiger Unterseite – also nichts wie hin! Mit erhöhter Fahrt gleite ich hoch über die abgeschiedenen Waldwiesen bei der Plotzsägmühle, als in Flugrichtung plötzlich ein weißer Drachen knapp über der Hangkante beim Weithäusle auftaucht; offensichtlich habe ich nicht als Einziger den Sprung in Richtung Dobel gewagt !
Schon ist die ersehnte Wolke in Reichweite und ich brauche nicht lange nach
ihrem Aufwind zu suchen: Warmer Harzduft und ein kreisender Bussard zeigen zuverlässige drei Sekundenmeter optisch und über die Nase an – welch ein Geschenk! In den Gurt gepresst brauche ich kaum aktiv zu zentrieren.
Und unten kreist ein alter Bekannter, leuchtend rote Speedarms und der turmlose Laminar verraten Lothar Wüst, der kurz heraufwinkt und sich dann wieder auf die Kurbelei konzentrieren muss. Als ich wenige Minuten später Mühe habe, nicht in die Dunstschleier der riesigen Wolke hineingezogen zu werden, nehme ich in knapp 2100 Metern mit Vollgas Kurs zur Wende.
Die Wolke hat einen großen Teil der Wälder und Wiesen um Dobel abgeschattet, lässt mich aber in ihrem Aufwind den Wendepunkt ohne Höhenverlust erreichen.
Winzig klein erscheint aus dieser Perspektive der sonst respektable und aussichtsreiche Wasserturm, vor dem ein Holzstoß fürs geplante Höhenfeuer fast nicht mehr auszumachen ist.
Vor lauter Begeisterung mache ich gleich drei Wendefotos, verwerfe jedoch den Gedanken, bis zu den nächsten Wendepunkten bei Ittersbach und Nöttingen zu fliegen: Nur noch schwach ausgeprägte Hangreliefs und vor allem fehlende Wolken als Aufwindmarkierungen lassen den Hinweg zwar als leicht machbar, den Rückflug aber als zu risikoreich erscheinen.
Also zurück zur Teufelsmühle! Lothar hat jetzt auch die Basis erreicht, und
kommt mir entgegen, doch bald habe ich ihn aus den Augen verloren. Dank meiner
großen Höhe kann ich ohne neue Aufwinde wieder bis zur Teufelsmühle gleiten.
Rechterhand wärmt sich Bad Herrenalb in der Sonne. Der Blick gleitet über die
Wälder unter dem Turm der Teufelsmühle, die Streuobstwiesen Loffenaus, das Murgtal mit Gaggenaus Industriekoloss und die helle Rheinebene bis hinüber zur graublau schimmernden, fast durchsichtigen Horizontlinie der Vogesen.
Aber warum fliegt nur noch ein Drachen über dem Hausberg von Loffenau ? Die Aufwinde beginnen offensichtlich zu schwächeln, was mich zur Vorsicht mahnt und zur Taktik “so hoch wie möglich”. Abends erfahre ich dann von Lothar, dass er von Dobel bis zur Landung in Loffenau keinen einzigen rettenden Aufwind mehr gefunden hat!
Also versuche ich wieder mein Glück in Richtung Kaltenbronn, wo schon nach
wenigen Kilometern flache Abendcumuli Aufwinde versprechen. Über den weiten Wald- und Sturmholzflächen der Ebenen zwischen
Teufelsmühle, dem Kreuzle und dem Rezenloh treffe ich Harald Müller, der mit
seinem Nasensporngerät dieselbe, richtige Entscheidung getroffen hat. Wir spielen mit der scheinbar nicht versiegenden Abendthermik und genießen das stille Gleiten unter der ausgedehnten Wolkenbasis.
Jenseits der verwunschenen Brotenau im hinteren Eyachtal blinzeln Wild- und Hornsee wie zwei dunkle Augen aus dem Tannen- und Latschenwald. Hellgrüne Wiesenflecken im Wäldermeer markieren den Kaltenbronn
und die gastliche Grünhütte, dahinter kann ich mein heimatliches Enztal von
Enzklösterle bis nach Bad Wildbad aus der Vogelperspektive bewundern.
Im Osten wird der Blick über den Baurenwald und das lichthelle Gäu erst durch die blaue Mauer der Schwäbischen Alb begrenzt.
Den Wettbewerb habe ich fast vergessen, doch ein Blick auf die Uhr reißt mich
aus den Träumen: “Letzte Landemöglichkeit Punkt 19 Uhr!” hatte
Wettbewerbsleiter Klaus Bossert beim Briefing betont.
Über zwanzig Minuten gleite ich aus 2170 Metern, der größten Höhe des Tages, über Heukopf, Große Wanne, Bernstein und Loffenau zur Landewiese, wo ich einen herrlichen Vierstundenflug stehend beende.
Anderntags gehe ich mit so vielen Punkten an den Start, dass ich eigentlich nur noch einen etwas verlängerten Gleitflug zum Gewinn des begehrten Teufelspokals brauche. Trotz unsicherer Aufwinde gelingt mir über den Höhen südlich der Teufelsmühle wieder ein phantastischer Flug bis auf über 2100 Meter Höhe, den ich schon um 16 Uhr nach mehr als 2 Stunden abbrechen muss.
Die anschließende Crashlandung aber kostet einen Steuerbügel, was trotz zweier herrlicher Flüge zeigt, dass ich kein Vogel bin.
Bei der anschließenden Siegesfeier ist dieser Fauxpas allerdings schon fast schon vergessen und in Erinnerung bleiben neben der Trophäe des Teufelspokals die zwei (oder waren es drei oder noch mehr? …) schönsten Flüge des vergangenen Jahres, unauslöschlich!
Text: Uli Blumenthal